„Wir sehen uns als Lösungsmacher für E-Mobilitätskonzepte“

Salzburg/Paderborn, 16. April 2021. Etwa gleich alt, doch immer am Puls der Zeit: BENTELER und die Fachzeitschrift „Industrieanzeiger“. In der aktuellen Ausgabe spricht Stefan Melchior, Head of Corporate Strategy and Corporate Development bei BENTELER, über die Transformation der Automobilindustrie und darüber warum BENTELER auch in Zukunft der starke Partner der Industrie bleibt.

Herr Dr. Melchior, muss sich BENTELER durch die Transformation der Automobilindustrie noch stärker fokussieren?

Wir tun das bereits. Seit 2018 setzen wir auf ein umfassendes Transformationsprogramm, um die BENTELER Gruppe in einer herausfordernden Zeit zukunftsfähig aufzustellen. Wir haben unsere Strategie angepasst, die sich auf unser Kerngeschäft als Metall-Prozess-Spezialist mit Schwerpunkt auf dem Automobilsektor konzentriert und dafür klassische Effizienz- und Effektivitätsbausteine wie Einkauf, Vertrieb, Produktion sowie Portfoliomaßnahmen und Kostendisziplin optimiert. Mit Erfolg: 2020 haben wir uns als systemrelevanter Partner der Automobilindustrie bewiesen. Branchenfremde Finanzierungspartner und externe Gutachter beurteilen unsere Strategie positiv.

Welches sind Ihre Zukunftsthemen?

Themen wie Sicherheit, Leichtbau und Elektromobilität. Beim Thema Nachhaltigkeit sehen wir uns global aufgestellt. Durch rund 100 Standorte und Werke weltweit produzieren wir nah an unseren Kunden und reduzieren so den CO2-Fußabdruck der Supply Chain. Mit der durch Recycling unterstützten Stahlherstellung in Lingen oder durch die Aluminiumproduktion mit Wasserkraft in Norwegen setzen wir konzernintern Akzente bei Produktionsprozessen.

Wie weit wird das Portfolio bereinigt werden und wovon wird sich BENTELER mittelfristig verabschieden?

Mit der Fokussierung auf unser Kerngeschäft haben wir uns bereits 2019 von unserem Rohrhandel getrennt. Die Erlöse aus dem Automotive-Geschäft tragen damit mittlerweile rund 90 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Wir konzentrieren uns auf unsere Kernkompetenz, die Metallverarbeitung, und haben gleichzeitig als Automobilzulieferer den konkreten Bedarf im Bereich der E-Mobilität erkannt und wollen diesen bedienen. Beispielsweise haben wir 2017 den Protoypen unseres Rolling Chassis, einer modularen und skalierbaren Plattform für E-Fahrzeuge, vorgestellt. 2019 haben wir in Kooperation mit Bosch eine Version präsentiert, die bereit für die Serienentwicklung und -fertigung ist – inklusive der Elektronikkomponenten von Bosch zur funktionalen Integration.

Wie viel investieren Sie in die Elektromobilität?

Wir haben uns früh mit dem Thema E-Mobilität auseinandergesetzt. 85 Prozent unserer Produkte sind antriebs- und technologieoffen. Daher sehen wir E-Mobilität als absolute Chance für uns, unsere Produkte und Kompetenzen optimal einzusetzen. Auch 2021 setzen wir in diesem Bereich gezielte Projekte um. In unserem Werk in Schwandorf werden wir beispiel- weise für einen zweiten Großkunden Batteriewannen produzieren. Für die gesamte Transformation sehen wir uns gut aufgestellt: Zum einen haben wir mit dem Rolling Chassis eine sofort einsetzbare Technologieplattform, auf der sich neue Modelle effizienter und schneller zur Marktreife bringen lassen. Zielgruppe sind weniger etablierte Autokonzerne, vielmehr neue Markteilnehmer wie branchenfremde Start-ups oder etwa Hersteller, die für Unterhaltungselektronik bekannt sind. Wir sehen uns hierbei als Lösungsmacher, der gemeinsam mit seinen Kunden E-Mobilitätskonzepte auf die Straße bringt. Anderseits bieten wir in der Zusammenarbeit mit unseren traditionellen Kunden einzelne Baugruppen und Module aus der Plattform an. Für die meisten unserer Produkte wie B-Säulen oder Achskomponenten ist nicht entscheidend, ob diese in einem Elektrofahrzeug verbaut sind oder nicht: Wie gesagt: 85 Prozent unserer Komponenten lassen sich unabhängig von der Antriebsart nutzen – ob Verbrenner, E-Auto, Hybrid oder Wasserstoff-getrieben.

Welchen technologischen Rückstand muss BENTELER noch aufholen?

Als Prozessspezialist begleiten wir Kunden von der Produktidee bis zur Serienproduktion. Wir stellen eine Produktionsfähigkeit unserer Produktidee im Rahmen der Entwicklungsphase sicher, zugeschnitten auf die Wünsche unserer Kunden. Mit der aktuellen Version des Rolling Chassis bilden wir einen Benchmark bei elektrischen Fahrzeugplattformen für die Segmente D bis F. Es ist eine fahrbereite, modulare Plattform, die mit Allradantrieb, 300 Kilowatt Leistung und einer Reichweite von mehr als 400 Kilometern viele Funktionen eines vollwertigen Fahrzeugs abdeckt. Zuletzt haben wir die Plattform mit unserem Partner Bosch unter realen Testbedingungen auf dem Prüfzentrum Boxberg optimiert. Die Ergebnisse bestätigen die Engineering-Daten aus der virtuellen Entwicklung. Mittlerweile fragt der Markt aber auch stark nach Plattformen in den kleineren Segmenten B und C und für Plattformen speziell für People Mover. Daher arbeiten wir auch an Konzepten für diese Segmente. Der Fokus liegt dabei auf Kosteneffizienz und robustem Design, wobei die Erfahrungen aus dem früheren Plattformentwicklungsprozess berücksichtigt werden.

Werden Sie Partnerschaften, eventuell auch mit Konkurrenten, eingehen, um eine systemkritische Größe im E-Mobilitätsgeschäft zu erreichen?

Das tun wir bereits, um Kompetenzen zu bündeln. Bosch hatte ich bereits mehrfach erwähnt. Daneben haben wir uns mit Vibracoustic zur Entwicklung von geräusch- und schwingungsoptimierten Fahrwerkslösungen für Elektrofahrzeuge zusammengeschlossen. Mit dem Design- und Karosseriebauunternehmen Pininfarina sind wir eine strategische Partnerschaft eingegangen, die uns den Bau von Prototypen sowie den vollständigen Entwicklungsprozess eines Elektrofahrzeugs bis zum Produktionsstart ermöglicht. Für die Implementierung des Rolling Chassis kooperieren wir mit Evergrande, die bislang nicht als Automotive-Hersteller bekannt sind. Das chinesische Unternehmen verwendet unser System als Grundlage für die Chassis-Architektur zukünftiger Elektrofahrzeuge. Ebenso hat Sony auf der CES 2020 ein Fahrzeug vorgestellt, für das wir Schlüsselkomponenten liefern. Grundsätzlich sind wir für das gesamte Spektrum möglicher Anwendungen aufgestellt: Über leichte und umweltfreundliche Transportfahrzeuge für die „letzte Meile“ bei Lieferdiensten bis hin zu neuen Konzepten für den öffentlichen Nahverkehr wie etwa teil- und vollautonom fahrende und barrierefreie People Mover. Bei der letzten Kategorie sind wir bereits in verschiedenen Entwicklungsprojekten involviert.

Das Interview wurde in der Print-Ausgabe 07/2021 des „Industrieanzeiger“ veröffentlicht. Die Online-Version finden Sie unter: https://industrieanzeiger.industrie.de/management/wir-sehen-uns-als-loesungsmacher-fuer-e-mobilitaet-konzepte

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